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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
Nehmen wir mal an, Menschen könnten schon immer ihre Erinnerungen an eine unglückliche Liebe ausradieren. Durch Hypnose, ein Pulver, irgendwelche Apparate. Einfach abgehakt. Die Weltgeschichte, wie wir sie kennen, würde kaum existieren. Viele Kriege wären nicht geführt worden, aber auch Inspirationen für Romane, Lieder, Filme hätten gefehlt, womöglich gäbe es manche Erfindungen nicht. Und gewiss hätte der französische Philosoph Petrus Abaelard von seiner ehemaligen Geliebten Heloise nicht einen Brief erhalten mit einem Satz, den später der britische Dichter Alexander Pope zitierte und nun der amerikanische Drehbuchautor Charlie Kaufman verwendet: "Eternal Sunshine of the Spotless Mind". Es ist der Originaltitel eines tragikomischen Films, der ohne Liebeskummer heute niemanden kümmern würde.
"Eternal Sunshine of the Spotless Mind", das klingt so melancholisch, sehnsüchtig und kryptisch, dass man sich kopfüber mit wundem Herzen in den Film stürzen möchte. Auf Deutsch heißt er etwas altmodisch "Vergiss meinnicht!", was ebenso an ein Blümchen erinnert wie an die Reime von Bugs Bunny. Auf Kauman indes kann man sich nie wirklich einen Reim machen. Sein letztes Skript, zu "Adaption", handelte von einem intellektuellenDrehbuchschreiber, der Charlie Kaufman heißt, einen Roman über Orchideen zum Filmstoff umarbeiten will und daran verzweifelt.
Auch sonst scheint sich Kaufman in seinen Geschichten und Figuren mehr wieder zu finden, als man zu ahnen vermag. In "Being John Malkovich" dachte er sich einen Weg in den Kopf des sphinxhaften Schauspielers. Über den Sonderling Kaufman jedoch ist noch weniger bekannt. Er gibt kaum Interviews. Dabei fällt einem kein Drehbuchautor ein, über den sich Filmjournalisten mehr Gedanken gemacht hätten. Auf ebenfalls seltenen Fotos sieht man Kaufman mit üppigen Locken und dichtem Vollbart. In "Human Nature", der in Deutschland am 10. Juni startet, erzählt er von einer am ganzen Körper behaarten Frau und einem Mann, der wie ein Affe aufwuchs.
Wie sich das Leben von Kaufman, den man als Stubenhocker einschätzt, zu "Vergiss mein nicht!" verhält, ist jetzt nicht zu klären. Man kann diesen Film der romantischen Komödie zuordnen, aber es ist eher eine abstrakteVorstellung dieses Genres. Die Kopfgeburt einer Lovestory. Um den Kopf, die Psyche, um Wahrnehmungsstörungen und Wahn, Schizophrenie und Schein geht es - wie in "Confessions of a Dangerous Mind" - immer bei Kaufman, und damit um die deformierte Seele, drängende oder verdrängte Instinkte.
Der Plot von "Vergiss mein nicht!" ist eigentlich recht simpel: Joel (Jim Carrey) wurde von seiner großen Liebe Clementine (Kate Winslet) verlassen. Er leidet nicht nur darunter, dass sie nichts mehr von ihm wissen will,es macht ihm vor allem zu schaffen, dass sie ihn nicht mal mehr kennt, ja tatsächlich vergessen hat. Clementine ließ ihn vom wunderlichen Wissenschaftler Dr. Mierzwiak (Tom Wilkinson) aus ihrem Gedächtnis streichen - so wie man eine Datei auf dem Computer löscht.
Das ist natürlich eine absurde Idee. Das Gefühl von Joe, als er in Clementines gleichgültiges Gesicht blickt, aber ist jedem vertraut: Wie es unfassbar schmerzt, wenn man plötzlich von einem geliebten Menschen ignoriert wird. "Als sei nichts gewesen", wie ein Allgemeinplatz, ja Vorwurf von Verflossenen heißt. Es ist ziemlich verrückt, wie sehr diese vordergründig unglaubliche Metapher einen bewegt, gerade weil die Rationalität des Löschprozesses eine Radikalität vorführt,vor deren Verletzungen man sich in der Liebe fürchtet.
Daher beschließt Joel, sich bei Dr. Mierzwiak ebenfalls der Prozedur zu unterziehen. Bei ihm aber geht einiges schief: Während er verkabelt mit einem Helm auf dem Bett liegt, turtelt der Assistent (Mark Ruffalo) von Mierzwiak mit der Arzthelferin Mary (Kirsten Dunst). Die zwei trinken Alkohol, hören laute Musik, springen bei Joel auf der Matratze herum. Ob es an den Schwingungen ihrer Ausgelassenheit oder einem Wackelkontakt liegt - jedenfalls rebelliert Joels Unterbewusstsein gegen den Eingriff inseinen Erinnerungen. Und in einer der visuell aufregendsten, komischsten und berührendsten Sequenzen der Filmgeschichte überlagern sich die Bilder seiner Vergangenheit bis in die Kindheit, dass Freud daran seine Freude hätte.
Möglich macht das der französische Regisseur Michel Gondry, der auch "Human Nature" gedreht hat. Neben dem Amerikaner Spike Jonze, der "Being John Malkovich" und "Adaption" verfilmte, zählt er zu den brillantesten jungen Regisseuren von Musikclips. Den sehr assoziativen, surrealen Stil seiner Videos hat er kongenial aufs Kino übertragen. Experimentierwütige, eigenwillige Künstler wie Gondry und Jonze sind wohl auch die einzigen Filmemacher, die dasPotential von Kaufmans Hirngespinsten erkennen und umsetzen können. Traditionalisten und Handwerker aus Hollywood würden sich verzetteln oder alles konfektionieren.
In einer Romanze aus Hollywood würde Joel erst eine neue Frau kennen lernen und sich zum Happy End mit Clementine versöhnen. Kaufman und Gondry jedoch stellen das Wiedersehen auf den Kopf. Am Anfang, der sich dann alsAuftakt des letzten Aktes entpuppt, erwacht Joel morgens in seinem Bett. Er hetzt zum Bahnhof, offenbar um mit dem Zug wie all die anderen Männer in grauen Mänteln zur Arbeit zu fahren, entscheidet sich intuitiv aber für die Linie an den Strand. Dort hockt er im Sand und trifft Clementine, dieihn auf der Rückfahrt anspricht.
Es ist der Beginn einer Liebe am selben Ort, wo sie sich schon einmal kennen gelernt haben. Und wie damals werden sie wieder nachts auf einem zugefrorenen See liegen und die Sterne betrachten. Im Hintergrund sieht man die Scheinwerfer von Autos auf demHighway wie eine Lichterkette. Das ist eine von vielen tief poetischen und ruhigen Szenen, die Gondry ebenso beherrscht wie die visionäre Optik und wilde Montage, deren Chronologie er raffiniert mit den wechselndenHaarfarben von Clementine gekennzeichnet hat.
"Was, wenn das Eis bricht?", fragt Joel ängstlich. Was also, wenn die Liebe zerbricht? Dann wird man Kummer im Kopf haben, aber die einstige Leidenschaft weiter im Herzen tragen. Wer hat sich nicht nach Jahren unvermittelt mit einem wehmütigen Gefühl kurz an eine längst vergesseneBeziehung erinnert. Und das ist die eigentliche Unvergänglichkeit von Liebe, die Charlie Kaufman mit "Eternal Sunshine of the Spotless Mind" beschwört.
Vergiss mein nicht (Eternal Sunshine of the Spotless Mind) USA 2004. Regie: Michel Gondry. Drehbuch: Charlie Kaufman. Darsteller: Jim Carrey, Kate Winslet, Tom Wilkinson, Kirsten Dunst, Mark Ruffalo, Elijah Wood. Produktion: Focus Features, This is That Productions, Anonymous Content, Blue Ruin. Verleih: Constantin. Länge: 115 Minuten. Start: 20. Mai 2004